Brave Old World im Pavillon

Endlich mal - endlich mal Brave Old World live gehört. Sie waren ja schon häufiger in der Nähe von Hannover, aber nie habe ich das bisher auf die Reihe bekommen. Am 19.11.99 war's nun also soweit, im leider nicht ganz vollbesetzten Kleinen Saal des Pavillons am Raschplatz in Hannover.

Zunächst hielt Alan Bern einen kleinen Vortrag über das heutige Programm, um die Hörerschaft auf das einzustimmen, was sie erwartete. BOW hatte eins ihrer älteren Programme ausgegraben: "Dus gesang fin getto Lodz" (Gesänge aus dem Ghetto von Lodz), das 1990 im Jüdischen Museum in Frankfurt Premiere hatte, und das sie jetzt neu bearbeitet hatten, um der Geschichte des Lodzer Ghettos zu gedenken und dem unzerstörbaren Geist seiner Bewohner Ehre zu erweisen.

"Dus gesang fin getto Lodz" beinhaltet sowohl eigene Kompositionen der Gruppe als auch kaum bekannte Lieder Lodzer Strassen- und Volkssänger, die von Dr. Gila Flam von der Hebrew University Jerusalem unter Überlebenden des Lodzer Ghettos gesammelt worden waren. Die meisten der hier aufgeführten Lieder stammen aus der Feder von Yankele Herszkowicz und sind seit der Zeit des Holocaust bis zur Premiere des Programms in 1990 nie mehr öffentlich aufgeführt worden. Heute noch sind sie auf keiner kommerziellen Aufnahme erhältlich. Diese Lieder sind im Wechsel bedrückend, fröhliche Tanzlieder (göttlich Michael Alperts ("Mr. Jiddishkeyt") Tanzpaar-Parodie), oder pure Satire, wie z.B. "Rumkowski Chaim", oberflächlich betrachtet ein Lobgesang auf Chaim Rumkowski, den (von den Nazis eingesetzten) Vorsitzenden des Lodzer Judenrats. Für die Kenner jüdischer Kultur allerdings war es ein bitterer Aufschrei der Empörung. "Chaim möge 100 Jahre alt werden", heisst es z.B. in dem Lied. Ein schöner Wunsch, nicht wahr? Nur - die wirklich guten jüdischen Wünsche gehen von 120 Jahren aus ... Diese Lieder hinterliessen tiefe Eindrücke in der Zuhörerschaft, kaum jemand mochte Alans Wunsch nachkommen und die Refrains mitsingen oder den Rhythmus mitklatschen, wie damals im Ghetto üblich. Wie sagte doch meine Frau nach dem Konzert: "Du, das hat mich so angerührt, ich kann das gar nicht beschreiben. Als ob ich es selbst erlebt hätte." Hat sie natürlich nicht, jedenfalls nicht in diesem Leben.

Der zweite Teil des Konzertes war dann der letzten CD von BOW "Blood Oranges" gewidmet. Nun endlich bekam das (vorwiegend nichtjüdische) Publikum das zu hören, was es sich (immer noch) unter jiddischer Musik vorstellt: fröhliche, tempogeladene Rhythmen, virtuoses Klarinettenspiel, jiddischen Schalk. Allein die von Michael Alpert auf jiddisch vorgenommene Vorstellung seiner Mitmusiker war ein Cabaret-Stückchen allererster Güte. Und dann dies: mitten in einem Stück gebot Michael seinen Mitstreitern Ruhe, um dann grinsend das Publikum aufzufordern, im Anschluss an das Konzert ordentlich "kompakten disks ze koyfen". Nun endlich wurde auch mitgeklatscht, mitgesungen, und irgendwo sah ich sogar ein paar Leute tanzen ...

Noch mal zum Thema Klarinette: Kurt Bjorling, etatmässiger Klarinettist, war unabkömmlich und wurde bei diesem Konzert das erste Mal durch Christian David aus Bremen ersetzt. Ich hatte den Eindruck, Christian wunderte sich nach jedem Solo, dass das Volk ihm zujubelte ... Kein Grund, sich zu wundern, Christian - Du warst grossartig und mehr als "nur" Ersatz für Kurt!

Nur eins, das ist mir als Geiger unklar geblieben: Nach welchen Kriterien Michael seine Geige mal unter's Kinn, mal unter die Achsel klemmte ... ;-)))

Die Musiker:

Michael AlpertGesang, Geige, Gitarre, Schlagzeug
Alan BernKlavier, Akkordeon
Christian DavidKlarinette, Bassklarinette
Stuart BrosmanBass, Tsimbl, Posaune


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